„Unser Weg in eine grüne Zukunft ist gefährdet“, ruft Tekin Nasikkol ins Mikrofon. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats der Thyssenkrupp Steel Europe AG verdeutlicht: „Wir können und wir wollen den grünen Stahl herstellen, man muss uns nur lassen.“ 12 000 Metallerinnen und Metaller sehen das genauso: „Stahl ist Zukunft“ rufen sie zurück.“ Sie tragen grüne Westen mit der Aufschrift „Unser Herz aus Stahl hat eine grüne Zukunft“ oder rote T-Shirts, auf denen zu lesen ist: „Stillstand hat noch nie was bewegt.“ Am Ende wird auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eines der roten T-Shirts tragen.
Die Metallerinnen und Metaller sind sauer. In drei Jahren wollen sie in Duisburg mit dem ersten Schritt der klimaneutralen Stahlproduktion beginnen und dafür jetzt eine neue Anlage bauen – doch die Politik liefert ihre versprochenen Fördergelder nicht und gefährdet so die Zukunft der Beschäftigten. „Bundeskanzler, Wirtschaftsminister, sogar der Bundespräsident – alle waren in den letzten Monaten da, noch nicht da ist das versprochene Geld“, bemängelt IG Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner, der im Aufsichtsrat des Mutterkonzerns Thyssenkrupp sitzt. Das bringe den Konzern in eine schwierige Situation, denn die neue Anlage ist schon bestellt und der Anlagenbauer braucht jetzt Sicherheit.
Aber auch aus einem anderen Grund tickt die Uhr. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Tekin Nasikkol erklärt: „Überall auf der Welt wird in neue Anlagen für grünen Stahl investiert. Wenn wir jetzt nicht den Einstieg schaffen, schnappen uns die anderen die Kunden weg und es ist der Ausstieg.“
Betriebsrat Tekin Nasikkol von Thyssenkrupp Steel mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck beim Stahl-Aktionstag in Duisburg
Um klimaneutral Stahl zu produzieren, müssen Hochöfen durch Direktreduktionsanlagen ersetzt werden. Doch diese kosten viel Geld. Thyssenkrupps erste Anlage wird rund zwei Milliarden Euro kosten. Und das ist nur die erste. Diese Investitionen können die Unternehmen nicht alleine stemmen. Nach ordentlichem Druck der IG Metall hat die Politik zwei Punkte verstanden. Erstens, die Stahlbranche ist systemrelevant für die deutsche Wirtschaft. Und zweitens: Die Industrie wird es in Deutschland nicht mehr geben, wenn sie keine finanzielle Unterstützung bekommt beim Umbau hin zu einer klimaneutralen Produktion. So versprach Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck der heimischen Stahlindustrie die nötigen Fördergelder.
Doch kaum soll in Duisburg jetzt die erste Anlage im industriellen Maßstab gebaut werden, knirscht es im Getriebe. Die Gelder der Politik sind noch nicht da, denn in Brüssel hat die Politik noch nicht den Weg für diese Investitionen geebnet. Zwar hatten sich die Bundesregierung und die Europäische Kommission geeinigt – der Umstieg auf grünen Stahl darf mit Staatsgeld unterstützt werden, doch gerade streiten Brüssel und Berlin erst noch, wie hoch die Staatszuschüsse sein dürfen.
Das ganze Hickhack um die Fördergelder hatte zwischenzeitlich dazu geführt, dass aus dem Bundeswirtschaftsministerium zu hören war, es könne vielleicht nicht komplett seine Förderzusagen einhalten. Doch den Rückzug vom Versprechen lies die IG Metall nicht gelten und ermahnte den Bundeswirtschaftsminister in einem offenen Brief, seine Zusagen einzuhalten. Das und die Ankündigung des Aktionstages mit Tausenden Metallerinnen und Metallern erhöhte den Druck und zeigte Wirkung.
Gut eine Woche vor dem Aktionstag der IG Metall fuhr Habeck daraufhin in die Konzernzentrale des Traditionsunternehmens und beteuerte, das Geld werde kommen. Und auf dem Aktionstag hatte er gute Nachrichten im Gepäck: „Am Montag kam ein Schreiben aus Brüssel, dass wir die gesamte Förderung machen können“, berichtet der Minister. Doch dann schob er nach: „Was fehlt ist ein bisschen Diskussion über das Kleingedruckte.“ 12 000 Metallerinnen und Metaller quittieren den Nachschub mit Buh-Rufen und einem Trillerpfeifenkonzert.
In Deutschland laufen 13 Hochöfen – alle müssen durch Direktreduktionsanlagen ersetzt werden und schon bei den ersten Anlagen gibt es Probleme, Thyssenkrupp ist da kein Einzelfall. Auch an der nötigen Infrastruktur mangelt es vielerorts. Die Direktreduktionsanlagen benötigen Wasserstoff, um so klimaneutral Stahl herzustellen. Doch es fehlt an Pipelines für den Transport sowie einen deutlich erhöhten Ausbau der erneuerbaren Energien, die man zu Herstellung von grünem Wasserstoff braucht. Und dann sind da noch die hohen Energiekosten. Damit die Stahlbetriebe in Deutschland wettbewerbsfähig produzieren können, braucht es einen Industriestrompreis, fordert die IG Metall. Doch insbesondere Finanzminister Christian Lindner wehrt sich noch.
Alles zusammen macht nicht nur die Beschäftigten von Thyssenkrupp Steel nervös. „Auch bei uns stehen Investitionen vor der Tür. Und auch wir haben noch keinen offiziellen Förderbescheid erhalten“, berichtet Wolfgang Kleber, Betriebsratsvorsitzender von ArcelorMittal in Duisburg. Was gerade bei Thyssenkrupp geschehe, verunsichere die Beschäftigten an seinem Standort zutiefst. Deshalb verdeutlicht der Metaller: „Die Bundesregierung hat eine Zusage gemacht. Jetzt muss sie sich auch daran halten. Dieses Hickhack versteht keiner. Stahl hat nur eine Zukunft, wenn wir jetzt die Weichen stellen. Die Regierung muss sich entscheiden: Will sie noch eine Stahlproduktion in Deutschland, oder nicht? Wir machen jetzt Druck.“
Auch bei HKM versteht man nicht, wieso nicht längst das Geld auf dem Tisch liegt. „Wenn Robert Habeck die ökologische Wende ernst meint, dann muss er jetzt handeln. Stahl ist ein großer CO2-Erzeuger. Jeder Euro, der in unserer Branche investiert wird, wirkt sich doppelt und dreifach positiv auf unsere Klimabilanz aus“, verdeutlicht Marco Gasse, Betriebsratsvorsitzender HKM Duisburg. Gasse betont: „Deshalb verstehe ich nicht, warum der Wirtschaftsminister jetzt zögert und sich Berlin und Brüssel gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben. Wir bei HKM sind dringend darauf angewiesen, dass die Transformation endlich losgeht. Dazu brauchen wir Investitionen und Sicherheit.“
Nachdem Wirtschaftsminister Habeck sein Versprechen zu den Fördergeldern beim Stahlgipfel nur erneuern konnte, gab er aber den Beschäftigten der Stahlindustrie ein neues ab: „Ich will, dass die gesamte Stahlindustrie in Deutschland transformiert wird.“ 12 000 Metallerinnen und Metaller waren Zeuge und Tekin Nasikkol betont: „Wir nehmen Sie beim Wort, Herr Habeck!“